Graue Zeiten

Von Ammern und anderen winterlichen Beobachtungen

In einer lichtarmen Zeit wie jetzt erscheint einem manches besonders farblos und trist. Wer dann auch noch wie ich in Husum, der „grauen Stadt am Meer“ lebt, muss bei Nebel, Regen und Sturm auch an diesen Facetten der Küste seinen Gefallen finden. Der weite Blick über die Marschen und Naturschutzköge, aber vor allem der weite Horizont über dem Wattenmeer geben Kraft und Zuversicht auch zu diesen schwierigen Zeiten. Man sehnt sich nach jedem Lichtstrahl, sonnige Tage werden gefeiert. Diesem körpereigenen Bedürfnis nach mehr Helligkeit bin ich jüngst etwas nachgekommen – mit neuer Fernoptik von Orniwelt. Meinem lang gehegten Wunsch, die Vogelwelt mit einem Kowa TSN 884 zu betrachten, schob ich nun nicht mehr länger auf. Auf was sollte ich noch warten? Der Wert eines einzelnen Tages ungetrübten Naturerlebnisses erschien mir gerade jetzt besonders groß.

Helligkeit ist der Träger für Farbe und Kontrast. Das Bild wird „lebendiger“. Im Winter gibt es an unserer Westküste einige besonders grau wirkende Vogelarten zu beobachten. Dazu zählen vor allem die vielen nun schlicht gefärbten Watvogelarten wie Alpenstrandläufer, Knutt und Rotschenkel, aber auch Singvögel wie Strandpieper und Grauammer. An letztgenannter Art kann man die Vorteile ausgezeichneter Premiumoptik besonders lieben lernen. Jedes Gefiederdetail lassen diese Ammernart bei näherer Betrachtung zu einer wahren „Beauty“ werden, was man hinter ihrem deutschen Namen nicht vermuten mag.

Grauammern, unterschätzte SchönheitenBesonders erfreulich ist, dass diese ehemals – bis in die 50iger und Anfang der 60iger Jahre – als „häufiger Charaktervogel in Marsch und Geest“ beschriebene Art, in den letzten Jahren nach einem verheerenden Bestandseinbruch nun in Nordfriesland wieder eine bemerkenswerte Zunahme zeigt. War man zuvor noch über jede Grauammer-Beobachtung in den Salzwiesen des Nationalparks Wattenmeer verwundert und entsprechend erfreut, zeigen sich nun, seit dem Winterhalbjahr 2018/19 sogar große, ja – bis dreistellige Trupps in den Vorländern der Küstenperipherie. Über die Ursachen des abrupt eingesetzten Anstiegs der Winterbestände gibt es im Moment noch keine Klarheit.

Grauammern drücken sich bei Beunruhigung tief in die Vegetation.So musste ich mich tatsächlich erst etwas an den Anblick von Grauammertrupps am Deich und mitten in den Salzwiesen gewöhnen. Am Deichfuß zeigen sie sich oft in Gesellschaft der habitattypischen Nutzer der dortigen Samenfülle: Ohrenlerchen, Schneeammern und Berghänflinge.

Dabei fiel mir ein interessantes Phänomen auf: Auf größere Entfernung wirken Verbände von Grauammern, die z. B. bei einem Überflug eines Merlins im dicht gedrängten Verband in einige Höhe fliegen und dort abwartend Schwarmverhalten zeigen, durch fehlenden Größenvergleich und im Verhältnis ähnlich geringer Individualabstände an einen Berghänflingtrupp erinnern können. Erstaunlich, bei einem Spannweitenunterschied von immerhin fast 8 cm und dem Fakt, dass eine Grauammer ca. so viel wiegt, wie zwei bis drei Berghänflinge zusammen…

Grauammern im SchilfDeutlich unterschiedlich hingegen ist das Truppverhalten bei der Nahrungssuche. Während Berghänflinge irgendwie immer rastlos unterwegs sind und bei der Suche nach Sämereien häufig wie auf einem Fließband über die niedrige Vegetation „rollen“ (so wie man es auch von Schneeammern kennt… die jeweils letzten Vögel fliegen an die Spitze des Trupps usw., usw. …), zeichnen sich Grauammer-Trupps besonders durch ihre Unauffälligkeit aus. Sie drücken sich bei Beunruhigung zunächst tief in die Vegetation, verschwinden dabei für den Betrachter fast komplett und bewegen sich generell bei der Nahrungssuche auf das Nötigste beschränkt. Berghänflinge können kaum stillhalten. Der Knall vom Zuklappen eines Schaftores bringt den Schwarm sofort zum Auffliegen – untermalt von einem vielstimmigen nasalen „dwäing, dwäing“-Rauschen. Wenn Grauammern in der höheren Salzwiese einfliegen, dann bleiben anfangs meist noch einzelne Vögel auf den Spitzen der verholzten älteren Strandastertriebe sitzen. Sie rücken dann aber Vogel für Vogel in die Bodenregion nach und beschäftigen sich dort mit der Samensuche. Ein solcher Trupp ist dann wie „verschwunden“ und oft bedarf es erst dem zufälligen Überflug einer Kornweihe, dass die Vögel beim Aufliegen wieder sichtbar werden.

Hoffentlich bleibt uns die Grauammer in der jetzigen Größenordnung auch zukünftig ein belebendes Element der winterlichen Vogelwelt am Deich. Viel Spaß bei ihrer Beobachtung!

Martin Kühn

ornitho-Regionalkoordinator für Dithmarschen und Nordfriesland, Mitglied der Avifaunistischen Kommission in Schleswig-Holstein und Hamburg.