Mittenwald vogelreich, mitten im Winter
Das oberbayerische Städtchen Mittenwald ist vielen vor allem durch seine malerische Lage im Tal der Isar zwischen zwei mächtigen Gebirgsstöcken, dem Wettersteinmassivs und dem Karwendelgebirge, bekannt – ein idealer Ausgangsort für Wanderer und Bergsteiger – und natürlich auch für Wintersportler. Eine gewisse Berühmtheit hat Mittenwald auch durch seine Geigenbautradition erlangt. Noch heute kann man in der Geigenbauschule die hohe Kunst der Fertigung von Streichinstrumenten erlernen.
Auch auf Ornitholog*innen übt Mittenwald eine hohe Anziehungskraft aus: Bei dem Stichwort Karwendelgrube bekommen Birder glänzende Augen – ist es doch eines der Gebiete, um recht bequem eine Reihe hochalpiner Arten, wie Alpenschneehuhn, Alpenbraunelle, Schneesperling und mit Glück Mauerläufer, zu „ergattern“, denn eine Seilbahn bringt die Besucher innerhalb von etwa sieben Minuten von 933 müNN auf 2244 müNN – also in Bereiche weit oberhalb der Baumgrenze. Da in diesen Hochlagen viele Monate lang Schnee liegt ist die beste Zeit für einen Besuch der Frühsommer (etwa Ende Mai bis Mitte Juli).
Trotz des unwirtlichen Lebensraums – insbesondere im Winter – sind drei der genannten Arten das ganze Jahr im Gebiet anzutreffen, aber ungleich schwerer zu entdecken – auch deshalb, da der Aktionsradius des „Normalbeobachters“ durch die hohe Schneebedeckung stark eingeengt wird. Der Skitourengeher oder -fahrer wird vielleicht noch am ehesten auf die eine oder andere Art treffen. Die Alpenschneehühner sind aufgrund ihrer hervorragenden Tarnung nur schwer zu finden und die Mauerläufer können sich überall aufhalten und es braucht schon einigen Zufall einen vors Fernglas zu bekommen. Auch ziehen einige im Winter in tiefere Lagen. Einzig dem Schneesperling kann man von den oben genannten Arten mit einiger Regelmäßigkeit auch im Winter in der Karwendelgrube begegnen. Sie unternehmen kaum größere Vertikalwanderungen.
Aber natürlich gibt es auch im Winter im Raum Mittenwald vogelmäßig einiges zu entdecken. Ein herausragendes Phänomen und eine Mittenwalder Spezialität ist der regelmäßige Einflug von Alpendohlen in den Ort. Dabei sind Trupps von 200 und mehr Vögeln keine Seltenheit. Der größte bisher festgestellte Trupp umfasste 580 Individuen, was durch Auszählen eines Fotos ermittelt werden konnte. Es mutet manchmal etwas seltsam an, wenn Alpendohlen, die sonst die Gipfel umkreisen, sich in der Fußgängerzone fast schon in Straßentauben-Manier unter die Passanten mischen, um sich um Nahrungskrümel zu streiten.
Das ganze Jahr über zu beobachten sind Steinadler, die sowohl über dem Wettersteingebirge als auch über dem Karwendelgebirge kreisen können. Regelmäßige Blicke in den Luftraum können einem mit Glück diese majestätische Art bescheren. Bereits im Winter markieren sie mit ihrem sog. Girlandenflug ihr Revier und werben um einen Partner. Schon Ende Februar können die ersten Eier gelegt werden.
Ebenfalls zeitig im Jahr, aber auch im Winter, sind die Spechte aktiv – darunter eine sehr attraktive Art: Der Weißrückenspecht. Ich war – ehrlich gesagt – überrascht, wie regelmäßig man diesem unter Birdern begehrten Specht begegnet, der in Deutschland nur in den Alpen, in der Adelegg im württembergischen Allgäu und im Bayerischen Wald verbreitet ist. Natürlich hat man nicht täglich das Vergnügen, aber wenn man mit seiner Stimme und noch mehr dem Trommeln und einem markanten Erregungsruf vertraut ist, stehen die Chancen ganz gut, dass irgendwann eine Beobachtung gelingt. Und es ist auch nicht so, dass er nur in „urwaldartigen“ Laub- und Mischwäldern mit viel Alt- und Totholz (sinngemäßes Zitat aus dem „Svensson“) vorkommt, sondern durchaus auch in „ganz normalen“ Wäldern – sogar in stark nadelholzdominierten Bereichen. So habe ich ihn schon unterhalb des Dammkars, im Seinsbachtal (Weg zur Vereiner Alm), im Bereich des Kranzbergs sowie bei Wallgau und Elmau beobachten können. Einen ganz anderen Lebensraum bewohnt er hingegen im nicht weit entfernten Murnauer Moos, wo er in den bachbegleitenden Gehölzen lebt. Hier profitiert er vom Erlensterben, das ihm viel Totholz beschert.
Der Dreizehenspecht ist hingegen nicht so flexibel: Seine Vorkommensgebiete sind auf die montanen Wälder beschränkt. Hier siedelt er vor allem in Nadelwäldern mit hohem Anteil absterbender Bäume. Wie bei Spechten leider üblich gibt es jedoch Phasen, während derer kaum Beobachtungen gelingen, und zwar dann, wenn die Rufaktivität auf ein Minimum sinkt. Dann verrät höchsten einmal ein Klopfen seine Anwesenheit.
Im Winter bestehen auch gute Chancen, mit Raufußkauz und Sperlingskauz Bekanntschaft zu machen. Während man den Sperlingskauz oft auch tagsüber auf der Spitze einer Fichte oder Tanne sehen kann, ist der Raufußkauz ganz überwiegend nur nachts festzustellen, wenn er seine monotone Rufreihe wie „hu-hu-hu-hu-hu“ zu besten gibt – in guten Mäusejahren auch schon vor Weihnachten. Manchmal hört man ihn auch wochen-, ja monatelang gar nicht. Dann ist es praktisch unmöglich, diese kleine Eulenart nachzuweisen.
Aber richtig, richtig schwierig zu beobachten sind die verschiedenen Hühnerarten – insbesondere im Winter, wenn sie sich noch heimlicher verhalten als sie es ohnehin schon tun, und ihre Lebensräume schwer zu erreichen sind. Dann sollte man sie auch nicht suchen, um Störungen zu vermeiden. Denn sie haben es ohnehin schon schwer, und jede Störung, auf die mit Unterbrechung der Nahrungssuche oder gar Auffliegen reagiert wird, verschlechtert ihre Kondition. Am Planbarsten sind sicherlich die oben schon erwähnten Alpenschneehühner, aber auch Birkhühnern wird man noch einigermaßen regelmäßig begegnen, insbesondere wenn man die Balzplätze kennt. Doch auch hier sollte man sich sehr vorsichtig verhalten. Auerhühner kommen vor allem im Bereich des Kranzbergs und Richtung Elmau und Schachen vor, sind aber äußerst schwer zu sehen. Meistens ist es reiner Zufall, dass einem dieses große und urige Waldhuhn – im wahrsten Sinne – über den Weg läuft. Dies trifft noch mehr für das unauffällige Haselhuhn zu, das noch recht verbreitet sein soll – und trotzdem habe ich es in über zwei Jahren, die ich hier schon lebe, erst einmal in der Nähe des Frieders (bei Garmisch-Partenkirchen) gehört. Es lebt verborgen in unterholzreichen Mischwäldern. Selbst das äußerst seltene Steinhuhn kommt im Raum Mittenwald vor und sein Brüten wurde unlängst dokumentiert. Man sollte also damit rechnen, dass ein Urlaub in den Bergen endet, ohne eine dieser Hühnerarten auf der Liste zu haben – egal ob im Winter oder Frühjahr/Sommer.
Abwechslung bieten im Winter auch die großen Voralpenseen (u.a. Ammersee, Starnberger See, Kochelsee, Walchensee), die alle in Schlagdistanz zu Mittenwald liegen und vor allem für Seetaucher, Ohrentaucher und Meeresenten bekannt sind. Aber auch sonst bieten sie reiches Vogelleben.