Zwergscharben – unerwartete Gäste aus dem Südosten

Zwergscharbe, Flügel trocknend

Im August 2021 zeichnete sich ein nie dagewesener Einflug von Zwergscharben in den Südosten Deutschlands ab. Mancherorts wurden sogar zweistellige Zahlen dieses seltenen Gastes gemeldet. Ich dachte mir nur: auch hier an der ostbayerischen Donau zwischen Regensburg und Straubing, wo ich regelmäßig Vögel beobachte und erfasse, gibt es so viele idyllische und ruhige Altwässer, an denen man sich Zwergscharben bestens vorstellen könnte. Vielerorts ragen tiefhängende Äste von den am Ufer stehenden Bäumen und Büschen ins Wasser und auch bereits abgebrochene und ins Wasser gefallene Äste und Bäume sowie abgestorbene Baumstümpfe bieten hervorragende Sitzmöglichkeiten für diese kleinen Kormorane. Also machte ich mich auf die Suche – zunächst aber erfolglos.

Als ich dann von zwei Zwergscharben bei Pfatter hörte – an einem Donaualtwasser etwa 20 Kilometer östlich von Regensburg, an dem ich vor drei Tagen selbst noch gesucht hatte – konnte ich kaum erwarten, abends nach der Arbeit das Büro zu verlassen und mich selbst auf die Suche zu machen. Und tatsächlich: Zwergscharben! Allerdings nicht zwei, nein, es kamen mehr und mehr, die sich zu Sonnenuntergang auf dem im Wasser liegenden Geäst eines umgestürzten Baumes sammelten. Insgesamt zählte ich an diesem Abend zwölf!

Eigentlich sind Zwergscharben Brutvögel in Südosteuropa bis nach Zentralasien, in den vergangenen Jahren verschlug es aber immer wieder einzelne Individuen auch nach Deutschland, meist im Winterhalbjahr. Warum es diesen August dann plötzlich so viele waren – in mehreren anderen Regionen wie in Unterfranken oder Osthessen verweilten ähnliche Trupps wie im Regensburger Raum oder sogar noch größere – ist schwer zu beantworten, hängt aber vielleicht mit der extremen Sommerhitze und Trockenheit sowie großflächigen Waldbränden in großen Teilen Südosteuropas im Sommer 2021 zusammen.

In den folgenden Tagen nach der Erstbeobachtung der Zwergscharben bei Pfatter kamen sogar noch ein paar weitere hinzu und über mehrere Wochen versammelten sich dann auf immer demselben umgestürzten Baum allabendlich 16 Zwergscharben, an manchen Tagen nur 15, maximal 17. Am abendlichen Sammelplatz ließen sich die Zwergscharben leicht zählen, während sie sich tagsüber auf die umliegenden Gewässer verteilten und dann vor allem schwimmende und tauchende Vögel sehr unauffällig und auch leicht zu übersehen waren.

Seit Kurzem mit einem neuen Spektiv mit hervorragendem Zoomokular ausgerüstet, versuchte ich bei jeder Gelegenheit das Großgefieder der Scharben zu studieren, um deren Alter zu ergründen. Da Zwergscharben wie andere Kormorane auch nach Tauchgängen regelmäßig mit weit geöffneten Flügeln ihr Gefieder trocknen, gab es hierzu immer wieder gute Gelegenheiten. Bei den Zwergscharben in Pfatter handelte es sich ausschließlich um Jungvögel, was zumindest ganz überwiegend auch für die am Einflug beteiligten Vögel in anderen Regionen Deutschlands zutrifft.

So plötzlich wie die Zwergscharben kamen, waren sie dann auch wieder verschwunden. Nach dem Monatswechsel Oktober/November konnten nur noch zwei Individuen im Gebiet beobachtet werden, Mitte November waren dann auch sie verschwunden. Möglicherweise gab es doch zu viele Störungen, die die kleinen Kormorane letztlich zur Abwanderung bewogen. Mehrfach legte der lokale Fischer seine Netze in unmittelbarer Nähe des abendlichen Sammelplatzes aus, einmal versuchte ein junger Habicht abends am Schlafplatz, eine Zwergscharbe zu erbeuten – was ihm aber nicht gelang, die Zwergscharben ließen sich rechtzeitig aus dem Schlafgebüsch ins Wasser fallen – und schließlich brachte noch ein junger Seeadler viel Unruhe ans Altwasser, als er dort für einige Zeit Quartier bezog.

Schade, dass die Zwergscharben nicht wie zum Beispiel in Nordbayern auch im Winter blieben. Das hätte gute Möglichkeiten geboten, die Mauser der jungen Zwergscharben in ihrem ersten Winter genauer zu verfolgen. In der ornithologischen Literatur ist hierzu kaum etwas zu finden. Umso schöner, dass sich mir Anfang Januar nochmals die Gelegenheit bot, zwei junge Zwergscharben an einem der Isarstausee bei Landshut zu studieren. Ich war überrascht, dass beide Individuen bereits fast sämtliche Steuerfedern sowie die beiden innersten Armschwingen gemausert hatten.

Sönke Tautz

 

 

 


Sönke Tautz ist Physiker und von Jugend an begeisterter Vogelbeobachter. Er ist Vorsitzender von Otus e.V. – Verein für Feldornithologie in Bayern.

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