„… this bird has flown.“

Die Amsel

Vögel in den Songs der Beatles

Der erste Beitrag unserer neuen Orniwelt-Reihe über Vögel in der Kultur beschäftigt sich mit Vögeln in der Musik, und zwar in den Songs der Beatles, die die Welt der populären Musik geprägt haben wie kaum eine andere Band und zurzeit mit ihrem „letzten Song“ Now And Then, basierend auf einer Aufnahme von John Lennon, wieder in aller Ohren sind.
Für alle, die bei Spotify einen Account haben, gibt es dort eine Playlist zu den hier besprochenen Songs.

Im ersten Beispiel taucht das „ornithologische“ Motiv, als Redewendung auf, in dem Songtext und explizit als Zusatz zum Titel: Norwegian Wood (This Bird Has Flown). Das Stück aus dem Jahre 1965 stammt aus der Feder von John Lennon und ist Teil des Albums Rubber Soul. In dem Lied hat der Sänger eine Frau getroffen und bei ihr übernachtet. Als er am nächsten Morgen erwacht, stellt er fest:

this bird has flown.

Wie sie es dem Sänger angekündigt hatte, musste sie früh zur Arbeit.
Die Redensart vom Vogel, der ausgeflogen ist, wird für gewöhnlich in zwei Kontexten verwendet, zum einen in dem Sinne: jemand ist aus der Gefangenschaft geflohen (der goldene Käfig …), und dann: jemand hat sein Nest, das heißt sein Zuhause oder seinen Unterschlupf, verlassen. Hier wird „this bird has flown“ in dem letzteren Zusammenhang verwendet. Die Frau ist stolz auf ihr „Nest“ und besonders auf ihre Möbel aus dem titelgebenden norwegischem Holz. Der Sänger berichtet, dass er diese, bevor er die Wohnung verlässt, in Brand setzt, warum – das bleibt der Spekulation der Hörer:innen überlassen.

Etwas komplexer sind die Vogel-Metaphern in And Your Bird Can Sing (1966), gleichfalls von John Lennon und auf dem Album Revolver erschienen. Hier äußert sich der Sänger negativ über eine nur mit „You“ angesprochene Person, wobei offen bleibt, wer gemeint ist, die Spekulationen der Interpreten gehen von Lennons erster Ehefrau Cynthia über Frank Sinatra, Mick Jagger bis hin zu Paul McCartney – für unseren Kontext spielt das jedoch keine Rolle, wichtig ist dass der Sänger die Äußerungen des Gegenübers als angeberisch empfindet, darunter die Behauptung sein Vogel könne singen und sein Vogel sei grün – man assoziiert in dieser Konstellation leicht den Kanarienvogel im Käfig. Dann fragt der Sänger, ob sein Gegenüber traurig wäre, wenn sein Vogel zerbrochen (wohl krank oder tot) sei, und ob ihn das aufrütteln würde und dass er, der Sänger, dann da wäre. Die letzte Strophe ist eine Variation der ersten, wobei hier der Vogel swingt.
Der Sänger bezieht in dem Song jede dieser Aussagen über den Vogel auf sich …

And your bird can sing,
But you don’t get me

And your bird is green,
But you can’t see me

And your bird can swing,
But you can’t hear me

… so dass die Vermutung nicht auszuschließen ist, dass der Sänger sich selbst als den Vogel sieht, als eine Art unverstandener Hofnarr: gefangen, um zu singen.

Weiter geht es mit einem Song aus dem Doppelalbum The Beatles (1968), dem sogenannten White Album, was auf einem weißen Hintergrund wie dem der Orniwelt-Homepage zu Darstellungsproblemen führt

Der Yer Blues (1968), auch er ist hauptsächlich von John Lennon, taucht in dieser Sammlung auf, weil ein Vers in diesem Song ein mythisches Vogelmotiv mit einer Redensart vermischt. Der Song ist ein Blues, der Sänger ist, wie meist in dem Genre, am Ende, wohl wegen einer Frau. Seine Misere beschreibt er mit diversen Metaphern, u. a.:

The eagle picks my eye

Es ist der Mythos von Prometheus, den die olympischen Götter als Strafe, weil er den Menschen das Feuer gebracht, an den Kaukasus geschmiedet haben, wo ihn jeden Tag ein Adler besucht, um ihm die danach immer wieder nachwachsende Leber zu fressen; und dieser Mythos vermischt sich in Yer Blues mit der Redensart: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Für die allesfressenden Rabentiere sind Augen eine Delikatesse – man erinnere sich an die im vorherigen Beitrag angesprochene Feststellung, jemand sei vogelfrei (Free As A Bird ist auch der Titel eines 1995 postum veröffentlichten Beatles-Songs, wie Now And Then basierend auf einer Aufnahme von John Lennon), der Sänger fand es aber wahrscheinlich wesentlich poetischer, wenn ihm diese Unbill durch den ‚König der Lüfte‘ widerfahren würde, denn durch einen Aasfresser.

Flying (1967) ist eines der seltenen Instrumentalstücke der Beatles, in dem die Stimmung des uralten Menschheitstraums vom Fliegen sehr schön nachempfunden wird, fliegen natürlich nicht mit einem technischen Hilfsmittel, sondern wie die Seevögel vor der Küste Islands, deren Bilder in dem Film Magical Mystery Tour mit dem Stück, das auch auf dem Soundtrack zu dem Film erscheint, unterlegt werden.

Flying soll hier überleiten zu der nächsten Art, wie die Vögel in die Musik der Beatles Einzug gehalten haben, nämlich zitiert mit ihren eigenen Stimmen. Das Beispiel hier ist der Song Good Morning, Good Morning von dem revolutionären Album Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967), auch er stammt aus der Feder von John Lennon. Wie der Titel nahelegt, beginnt das Lied mit einem Hahnenschrei, dann erzählt der Sänger, wie er keine Lust hat, zur Arbeit zu gehen, und stattdessen durch die morgendlich-halbwache Stadt flaniert. Das Ende des Stückes wird durch Vogelgesang eingeleitet. Mark Lewisohn macht in seinem Beatles-Kompendium darauf aufmerksam, dass die Abfolge der zu hörenden Tierstimmen eine – wenn auch stilisierte – Nahrungskette ergibt: auf die Vögel folgt eine Katze, auf die dann ein Hund usw., bis man am Ende die Geräusche einer Jagd zu Pferde hört. Den Abschluss bildet – als Pedant zum Auftakt – ein Huhn.

Als nächstes Beispiel nehmen wir einen Song von Paul McCartney, nämlich Blackbird aus dem Jahr 1968, erschienen gleichfalls auf dem sogenannten White Album. Beim ersten Hören scheint es so, als fordere der Sänger eine in der Nacht singende Amsel auf, ihre Blessuren zu überwinden und sich in die Lüfte zu erheben. Paul McCartney komponierte den Song auf seiner Farm in Schottland und hatte sicherlich dabei reale Amseln im Ohr – die in dem Song zu hörenden stammen wohl aus dem Fundus der Abbey Road-Studios –, er selbst gibt als Inspirationsquelle noch eine Amsel an, die er während des morgendlichen Meditierens in Indien gehört haben will. Aber seine intendierte Aussage war nach eigenem Bekunden eine andere:

this whole idea of ‘you were only waiting for this moment to arise’ was about the black people’s struggle in the southern states, and I was using the symbolism of a blackbird. It’s not really about a blackbird whose wings are broken, you know, it’s a bit more symbolic.

Trotz dieser Symbolik ist Blackbird sowohl was die Stimmung betrifft als auch im Hinblick auf die rein beschreibende Textebene der „ornithologischste“ Song der Fab Four.

Diese eher zufälligen Beispiele – es gibt auch noch eine Version von Across The Universe für den World Wildlife Fund mit O-Tönen von Vögeln und es gibt wesentlich explizitere musikalische Beschäftigungen mit Vögeln, man denke nur, um in der Ära der Beatles zu bleiben, an Pink Floyd oder aber aus dem Bereich der Neuen Musik an den komponierenden Ornithologen Olivier Messiaen – machen deutlich, wie ornithologisch durchsetzt unsere Kommunikation sowie unsere Wünsche und Sehnsüchte sind.

Zum Abschluss sei dem Autor erlaubt, aus einem seiner eigenen Romane zu zitieren. In dem taucht, ohne explizit genannt zu werden, der Beatles-Song Tomorrow Never Knows, 1966 auf Revolver veröffentlicht, auf, er taucht deswegen auf, da es in dem Roman explizit um die Frage geht, ob man seine Zukunft kennen kann. Der folgende Auszug stammt aus einem in indirekter Rede referierten Vortrag, der in dem Roman im Kontext eines Kongresses gehalten wird:

An einem lauen Sommerabend beim Weizenbier an einem See im Osten sitzend habe Köberlin relativ gedankenlos, wie er ausdrücklich in einem Brief an ihn [den im Roman Vortragenden] vermerkt habe, auf das Dach eines Bauernhofes, unter dessen Traufe viele Schwalben nisteten, geschaut. Auf dem Dach habe es eine Fernsehantenne mit fünf Querstreben gegeben, auf denen die Schwalben zwischen ihren abendlichen Fliegenjagden gesessen hätten, aber nicht still, es habe ein ständiges Hin und Her und Kommen und Gehen gegeben, und irgendwann habe Köberlin damit begonnen, die Positionen der Schwalben auf den Querstreben der Fernsehantenne auf eine Serviette zu notieren. Herausgekommen sei dabei folgendes …

Oscar Wilde hat irgendwo geschrieben, nicht die Kunst ahme die Natur nach, sondern die Natur die Kunst – wie dem auch sei, die erwähnten Schwalben hier haben sich derart auf der Antenne platziert, dass ihre Anordnung die Notation von John Lennons bekanntem Einstieg in Tomorrow Never Knows ergibt:

Turn off your mind relax and float down-stream,
it is not dying, it is not dying …

Zum Nachlesen

Herbert Neidhöfer

Der 1960 an der Mosel geborene Autor hat in Hamburg Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie studiert. Nach Jahren in Berlin lebt er nun in Heide in Dithmarschen. Sein Lieblingsvogel ist der Zilpzalp (Phylloscopus collybita).

herbert-neidhoefer.de