Säbelschnäbler im Katinger Watt
Jedes Jahr aufs Neue kommen viele Säbelschnäbler zur Balz und Brut ins Katinger Watt. Geduldige Beobachter*innen können dieses Spektakel aus den Vogelbeobachtungshütten hautnah miterleben. Nachdem Anfang März die ersten Säbelschnäbler aus den Winterquartieren angekommen sind, beginnen die Vögel mit der Partnersuche und schon bald kann man sie im Zuge der Balz beim sogenannten „Schnäbeln“ beobachten. Gebrütet wird im Katinger Watt auf von Wasser umgebenen Brutinseln. Dort bauen sich die Säbelschnäbler zunächst kleine Mulden, die sie von spitzen Steinen und Stöckchen befreien und manchmal zusätzlich mit weichen Materialien wie Gräsern auspolstern. Erst dann legt das Weibchen durchschnittlich 2-4 Eier in die Nistmulde ab, welche abwechselnd von Männchen und Weibchen ausgebrütet werden.
Das umliegende Wasser soll die Gelege vor den gierigen Mäulern schwimmfauler Prädatoren schützen. In warmen und trockenen Jahren wie diesem kann das zum Wettlauf gegen die Zeit werden: Sinkt der Wasserstand zu stark oder fällt das Gewässer ganz trocken, sind die Eier Räubern hilflos ausgeliefert. Trotz der diesjährigen Trockenheit hatten die Säbelschnäbler Glück und schon Anfang Mai konnten Beobachter*innen sich über den süßen Anblick der ersten Küken des Jahres freuen.
Unter dem wachsamen Blick der Altvögel macht der Nachwuchs auf seinen langen, blauen Beinen die ersten, zunächst noch tapsigen und unbeholfenen Schritte. Die Küken wagen sich immer weiter vom Nest weg und bald suchen sie die erste Nahrung an der Wasserkante. Nach kurzer Zeit kehren die Kleinen wieder zu ihren Eltern zurück, um sich unter den Flügeln von Mama und Papa aufzuwärmen.
Die friedliche Idylle kann jedoch auch trügen: Die Gefahr gefressen zu werden, ist für die kleinen Küken allgegenwärtig, und schon bald bieten die Feuchtwiesen des Katinger Watts nicht genug Nahrung, um den Hunger der stetig wachsenden Küken zu stillen. Das angrenzende Wattenmeer hingegen bietet den Küken ein reichhaltiges Nahrungsangebot, sodass sie dort schnell groß und stark werden können. So muss Familie Säbelschnäbler inklusive des noch flugunfähigen Nachwuchses umziehen. Aus der Luft weisen die Altvögel den Küken den Weg über die Wälle, an den Vogelbeobachtungshütten vorbei, durch Hein-Hoops-Teich, bis sie auf das größte und gefährlichste Hindernis auf dieser Reise stoßen: die stark befahrene Eiderdammstraße, die das Eidersperrwerk mit St.-Peter-Ording verbindet. Auch die Straße muss von den Küken überquert werden. Trotz der neu eingeführten Tempobegrenzung auf 70 km/h schaffen viele den Streckenabschnitt nicht.
Glücklicherweise ist der Ruf der Altvögel nicht nur für die Küken am Boden, sondern auch für uns Freiwillige im NABU Naturzentrum Katinger Watt hörbar. Was für die Küken „Hier geht´s Richtung Wattenmeer!“ bedeutet, ist für uns das Signal, uns mit Eimer und Warnweste bewaffnet schnellstmöglich in Richtung Eiderdammstraße aufzumachen. Mit einem Fernglas verschaffen wir uns vom alten Eiderdeich aus einen ersten Überblick, an welcher Stelle die leicht zu übersehenden Küken die Überquerung der Straße wagen wollen. Wenn wir die Kleinen gefunden haben, werden sie von uns in die mitgebrachten Eimer gesetzt und sicher über die Straße getragen. Dabei halten wir die Eimer über unseren Köpfen, damit die Altvögel den Blickkontakt zu ihren Jungen nicht verlieren und ihnen mit über die Straße folgen.
Schließlich sind die Küken auch auf der anderen Seite des Deiches auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Am Wattenmeer angekommen, entlassen wir sie aus unserer Obhut, denn von nun an können die Altvögel wieder für die Kleinen sorgen.
Hier trennen sich unsere Wege und die der Säbelschnäblerfamilie wieder. Die Säbelschnäbler können nun ungestört im Watt nach Nahrung suchen. Die Küken müssen schnell wachsen, um sich auch in Zukunft gegen allerlei Gefahren zur Wehr setzen zu können.
Für uns endet unsere kleine Rettungsaktion. Das Einzige was übrigbleibt, ist das gute Gefühl, den kleinen Säbelschnäblerküken geholfen zu haben, und der Wunsch, dass sie auch zukünftige Hindernisse erfolgreich bewältigen können.
Emil Tewald & Wibke Oeding sind aus dem Team der Freiwilligendienstleistende im NABU Naturzentrum Katinger Watt im Jahr 2021/2022.