Klasse statt Masse
Winterliche Beobachtungstage in Schleswig Holsteins Mooren
Moore im Winter: Reif auf den Halmen, feuchter Dunst in der Luft und Stille – man möchte fast sagen Totenstille, wäre da nicht das Knacken der Zweige unter den eigenen Schritten. Verständlich, dass sich das Vorurteil Moore seien im Winter ornithologisch langweilig hartnäckig hält. Doch hier gilt: Klasse statt Masse! Artenarm sind die Moore, sommers, wie winters. Doch wer genau hinsieht, der wird durch eine einmalige Stimmung, das Spiel aus Licht, Schatten und Nebel über den ganzen Tag hinweg belohnt. Der aufmerksame Beobachter findet hier, mit etwas Glück eine exklusive Zahl verschiedener Vogelarten. Vögel, für die Moore in den Wintermonaten wichtige Rückzugsgebiete und Überlebensräume sind.
Ende November hatte ich die Gelegenheit, nach einem Besuch im Ladengeschäft bei Orniwelt eines dieser winterlichen Moore, das Dellstedter Birkwildmoor in Schleswig-Holstein zu erkunden. Bereits bei den ersten Schritten in der fast menschenleeren Moorlandschaft erklingen die kurzen, scharfen Rufe auffliegender Vögel rechts und links des Weges, Wiesenpieper. Leiser dringt das Trompeten der verbliebenen Kraniche, die in den Tiefen des Moores stehen an mein Ohr. Ein kleiner Trupp Stieglitze sucht in den vergilbten Stauden einer Kohlkratzdisteln nach den letzten Sämereien. Auf den überschwemmten Flächen rastet ein gemischter Ententrupp aus Krick, Pfeif- und Stockenten. Eine V-Formation aus ziehenden Bläss- und Weißwangengänsen lässt mich gen Himmel blicken. Hoch über meinem Kopf fliegen die Vögel, gen Westen. Vermutlich sind sie weit im Osten gestartet und überqueren Schleswig-Holstein nun auf ihrem Weg zur Nordsee. Den ganzen Nachmittag über werden mich weitere kleinere und größere Gänsetrosse auf ihrem Zug gen Wattenmeer und Süden überfliegen.
Endlich, auf einem der wenigen toten Bäume, tief in der Moorfläche blitzt das schwarz-weiße Federkleid eines Raubwürgers durch eine lichte Nebelschwade. Mit meinem heute erworbenen Leica Ultravid 10×42 HD-PLUS sind weiß, grau und schwarz im Federkleid des Vogels, trotz des Dunstes in der Luft unglaublich schön zu erkennen.
Das Moor ist nahezu baumfrei und man erwartet – oder besser erträumt sich gerne jederzeit irgendwo ein Birkhuhn. So schön würden diese imposanten Vögel zu den Mooren in Schleswig Holstein passen. Doch die Art ist schon Anfang der 80iger Jahre aus dem Gebiet verschwunden und trotz Versuche sie wieder anzusiedeln nie mehr sesshaft geworden. Bei genauem Beobachten erkenne ich zwischen den Wiesenpiepern einzelne überfliegende Bergpieper. Spärliche aber regelmäßige Wintergäste im Norden. Der Abend rückt näher und langsam verdichtet sich der Bodennebel und taucht das Gebiet in ein milchiges Meer. Nur noch Baum- und Buschspitzen ragen, wie kleine Inseln hieraus hervor. Ein Mäusebussard thront auf einem Pfahl über dem Nebel. Bekassinen überfliegen das Gebiet auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz. Einige Silberreiher fliegen umher und setzen, von der Abendsonne bestrahlt Akzente vor dem unter ihnen liegenden Nebel. Ein besonders schönes Schauspiel. Auf dem Rückweg überfliegen sieben Singschwäne den Weg. Der Vollmond steht bereits hoch und „beleuchtet“ das Gebiet. In der Ferne unterhält sich leise ein Pärchen Waldohreulen. Das Weibchen antwortet den Rufen des, noch weiter entfernt sitzenden Männchens.
Nicht viele Vogelarten habe ich an diesem Nachmittag vor mein Fernglas bekommen aber fast jede war eine kleine, nicht alltägliche Besonderheit und Stimmung und Landschaft machten die wenigen Stunden im Moor zu einem ganz besonderen Erlebnis.
Moorgebiete sind seit jeher mythenumwobene, unzugängliche Landschaften und gehören zu den faszinierendsten Lebensräumen auf der ganzen Welt. Sie bilden eine ökologische Überganszone zwischen festem Land und Wasser. Einige Moorgebiete in Deutschland sind auch heute noch weitgehend unzugänglich. Bereits vor langem begonnener, intensiver Torfabbau, der an einigen Orten immer noch stattfindet, die Intensivierung der Landwirtschaft und die damit einhergehende Entwässerung führten zur Zerstörung dieses einzigartigen Lebensraumes. Heute werden viele Moore renaturiert, wiedervernässt und diese besonderen Lebensräume werden wieder hergestellt und geschützt. Vogelbeobachter sollten in Mooren Zeit und Geduld mitbringen. Der erste, sehr artenarme Eindruck ändert sich und man bekommt nach und nach schöne und rare Vogelarten zu Gesicht. Raubwürger sind häufig als Wintergäste in Mooren anzutreffen. Die Tümpel und größeren Seen in wieder-vernässten Mooren sind Ruhezonen für verschiedene Entenarten und wichtige Übernachtungsgebiete für Singschwan und Co. Kornweihen jagen gerne über Moorlandschaften und den angrenzenden Wiesen oder nutzen Schilfbereiche als Schlafplatz. An Gräben und größeren Laachen, die in Mooren länger eisfrei bleiben kann man Eisvögel beobachten. Viele Moore in Schleswig Holstein haben einen weiten Bewuchs aus Birken, Erlen und anderen Bäumen. Hier fühlen sich unter anderem Arten wie Weidenmeise und Kleinspecht wohl.
Christian Wegst ist studierter Biologe und Lehrer. Bereits seit vielen Jahren zählt er sich außerdem zu den passionierten Vogelbeobachtern. Passion und Berufserfahrung setzt er unter anderem, in seiner Arbeit als Leiter des „Young Birders Club“ in Hamburg für die Nachwuchsförderung in der Naturbeobachtung ein.