Beobachtungen zur Zugzeit –
Mehr als nur Zufall!

Raubwürger

Das Frühjahr schreitet voran und der Vogelzug im Binnenland kommt immer mehr zum Erliegen. Die allermeisten der Zugvogelarten sind bereits zurück und widmen sich nun dem Brutgeschäft. Es wird eifrig gesungen, die ersten Reviere werden besetzt und es wird fleißig Nistmaterial herangeschafft. In dieser Zeit des Jahres (April-Mai) lässt sich viel entdecken und beobachten. Gerade, wenn die Vegetation noch nicht ganz ausgetrieben hat, stehen die Chancen gut die ein oder andere Entdeckung zu machen, die über das Spektrum der typischen Gartenvogelarten (Amsel, Spatz und Co.) hinausgeht.

Doch wie kann ich in dieser spannenden Jahreszeit eine außergewöhnliche Beobachtung machen, ohne mich dabei auf den Zufall oder das Glück verlassen zu müssen?

Als Grundvoraussetzung für das Beobachten von Vögeln gelten unsere Sinne. Hauptsächlich unsere Augen und Ohren. Beide Sinne zusammen sind von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht im Frühling auf außergewöhnliche Arten aufmerksam zu werden. Zusammen mit einem Fernglas lässt sich allein so schon eine Menge entdecken und beobachten. Doch ohne weitere Informationen entscheidet zumeist der Zufall darüber, was wir sehen oder wem wir zufällig über den Weg laufen.

Wenn man seinem Glück jedoch etwas auf die Sprünge helfen möchte und zum Ziel hat, die ein oder andere seltenere Art auf dem Zug oder während der Balz zu beobachten, dann sind Informationen über die ökologischen Ansprüche der verschiedenen Vogelarten sehr hilfreich. Damit sind keine Zahlen oder biologische Fakten gemeint. Vielmehr geht es in diesem Zusammenhang darum, mit simpelsten Informationen ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo sich Vögel gerne aufhalten bzw. welche Strukturen in unserer Landschaft für Vögel attraktiv sein könnten.

Grundsätzlich kommen fast alle Landschaftsbestandteile in Frage, die eine gewisse Struktur aufweisen. Das kann zum Beispiel eine Hecke sein, ein Feldgehölz, eine Streuobstwiese, Waldränder, Gewässer aller Art, ein Feldweg, eine eingezäunte Weide, ein blühender Rapsacker, eine abgelegene Feldscheune oder ein einfacher Graben mit vereinzeltem Schilf etc. etc.

Was all diese Orte oder Landschaftsbestandteile gemeinsam haben, ist, dass sie den individuellen ökologischen Ansprüchen einzelner Arten gerecht werden. Meistens ist es eine Mischung aus mehreren Faktoren, die darüber entscheidet, warum ein bestimmter Landschaftsbestandteil attraktiv erscheint. Neben Deckung bzw. Schutz vor Fressfeinden spielt zur Zugzeit vor allem die Nahrungsverfügbarkeit eine wichtige Rolle. An dicht bewachsenen Gräben nutzen beispielsweise Schwarzkehlchen gerne einzelne Schilfhalme als Ansitzmöglichkeit zur Jagd nach Insekten.

Schwarzkehlchen

Ähnlich attraktiv sind blühende Rapsfelder. Auch hier lohnt sich ein genauerer Blick, denn neben Schafstelzen oder Dorngrasmücken nutzen auch Braunkehlchen diesen gerne für eine Zwischenlandung, um nach dem langen Flug ihre Energiereserven wieder aufzufüllen.

Schafstelze

Braunkehlchen

Eine dichte Hecke bietet zahlreichen Singvogelarten Schutz vor Beutegreifern wie beispielsweise dem Sperber. Gleichzeitig finden sie dort Nahrung und evtl. einen geeigneten Brutplatz. Der Neuntöter legt hier sogar Vorräte an, indem er größere Insekten auf den Dornen der Schlehe aufspießt.

Neuntöter

Auch entlang von gewöhnlichen Feldwegen oder auf Äckern kann man die ein oder andere Entdeckung machen. Steinschmätzer nutzen diese Strukturen zum Beispiel gerne. Oft wird man erst auf sie aufmerksam, wenn im Flug ihre weiße Schwanzbasis zum Vorschein kommt.

Steinschmätzer auf dem Weg und auf dem Acker

Streuobstwiesen mit einem alten Obstbaumbestand sind ein sehr wertvolles Landschaftselement, da von der lichten Struktur, den zahlreichen Höhlen und der Vielfalt an Insekten viele verschiedene Vogelarten profitieren können. Ab Mitte April kann es sich lohnen, dort entlang von Wegen nach Wendehälsen Ausschau zu halten. Diese Spechtart sucht ihre Nahrung nicht an toten Bäumen, sondern auf dem Boden. Doch oft hört man diese Vogelart bevor man sie sieht, denn ihr Ruf ist weit hörbar und mit keiner anderen Art zu verwechseln.

Wendehälse

Maximilian Rößner hat Forstwissenschaften in Göttingen studiert. Im Juni 2021 hat er das Büro VARIS (www.varis-natur.de) gegründet und arbeitet seit dem selbständig als landschaftsökologischer Gutachter.