Seeschwalben am Eidersperrwerk

Seeschwalbe

Ein Besuch am Eidersperrwerk ist vor allem im Juli, wenn die Seevogelkolonie ihre volle Blüte erreicht hat, ein Erlebnis für alle Sinne: Schon von weitem hört man die Rufe der dort ansässigen Kolonie. Nähert man sich dem Sperrwerk dann langsam, steigt einem schon bald der charakteristische Geruch der Seevogelkolonie in die Nase.

Wer heute einen Spaziergang über das massive Bauwerk macht, kann nur schwer erahnen, wie die Landschaft noch vor wenigen Jahrzehnten aussah. Machen wir also eine Zeitreise, in die Jahre vor dem Bau des Eidersperrwerks:

Vor dem Bau des Eidersperrwerks, in den Jahren 1967-1973, beherbergte das damals noch circa fünf Kilometer breite Eiderästuar zahlreiche Vogelarten. Die Wattflächen in der Eidermündung boten ein reiches Nahrungsangebot, wovon die Brutvögel in den umliegenden Gebieten sowie tausende Zugvögel profitieren konnten. Mit dem Bau des Eidersperrwerks mussten diese Habitate dem Hochwasserschutz weichen. In diesem Zuge legte man zusätzlich 1200 Hektar Wattflächen durch den Bau des Leitdamms trocken und begann, diesen Raum für den Menschen nutzbar zu machen.

Unter zahlreichen Ideen, was man nun mit dem Land machen wollte, setzte sich vor Allem eine durch: Das Gebiet sollte sich zu einem Tourismusmagneten entwickeln und wurde dementsprechend nach den Wünschen der Gäste geformt.

Der Plan, das neu gewonnene Land für den Tourismus zu nutzen, konnte glücklicherweise durch eine Bürgerinitiative unterbunden werden und die Gebiete, die sich der Mensch genommen hatte, stehen heute unter der Obhut des NABU. Damit schaffen die Schutzgebiete im Katinger Watt einen Ausgleich für den verlorenen Lebensraum an der Eider. Heute fühlen sich hier wieder zahlreiche Wiesenvögel, mausernde Gänse und Zugvögel wohl, deren Lebensraum im Rest von Deutschland immer weiter schwindet.

Anders ist die Situation am Eidersperrwerk: Als Verkehrsknotenpunkt auf dem Weg nach St.-Peter-Ording durchqueren viele Gäste das imposante Bauwerk und halten auch gerne, um sich die Beine auf dem Sperrwerk zu vertreten. Von oben lassen sich die fünf mächtigen Stemmtore, die das Binnenland und dessen Bewohner*innen vor Sturmfluten schützen, besonders gut inspizieren. Es gibt nur wenig Orte an der Nordseeküste, wo der Einfluss des Menschen auf seine Umgebung so deutlich wird, wie am Eidersperrwerk. Dennoch konnten sich inmitten dieser vom Menschen geprägten Landschaft doch wieder Vögel ansiedeln.

Alles begann im Jahr 2005, als sich die ersten Seeschwalben auf der südlichen Seeseite des Eidersperrwerks zu einer damals noch sehr kleinen Kolonie von drei Fluss- und 94 Küstenseeschwalbenpaaren zusammenfanden. Die Veränderungen in der Landschaft lockten Raubtiere, wie Füchse oder Marderhunde nach Eiderstedt, sodass die Seeschwalben durch den hohen Prädationsdruck dazu getrieben wurden, sich alternative Bruträume zu erschließen. Somit zogen sie nach und nach aus den umliegenden Schutzgebieten zum Eidersperrwerk um. Damals rechnete man der jungen Kolonie wenige Chancen zu, schließlich waren die Vögel durch den Menschen ständigen Störungen ausgesetzt.

Wider Erwarten ließen sich die Seeschwalben allerdings nicht von den Menschen beirren und kehrten von nun an Jahr für Jahr zum Eidersperrwerk zurück. Mit jedem weiteren Jahr wuchs die Kolonie. Das Interesse der Besucher*innen tat es ihr gleich. Schon bald kamen die ersten Gäste nicht mehr wegen des Sperrwerks selbst, sondern für dessen tierische Bewohner*innen. Kein Wunder, denn hier kommt man den sonst eigentlich sehr scheuen Seeschwalben so nah wie nie. Trotzdem ist dabei auch Vorsicht geboten: Die neugierigen Beobachter*innen werden zwar geduldet, kommen sie der Kolonie aber dann doch zu nah, ziehen sie den Zorn der Seeschwalben-Eltern auf sich, die sich und ihren Nachwuchs mit spitzen Schnäbeln zu verteidigen wissen.

Schon lange fühlen sich nicht nur die Fluss- und Küstenseeschwalben am Eidersperrwerk wohl, sondern es mischen sich auch zunehmend Lachmöwen unter die Kolonie. Anders als die Seeschwalben fischen sie nicht nur in der Eider, sondern greifen auch beim naheliegenden Imbiss die ein oder andere Pommes ab.

Die Seeschwalben hingegen stürzen sich mit waghalsigen Flugmanövern aus dem Himmel und stoßen tief in das Wasser, um Fische wie z.B. Seenadeln zu erbeuten. Diese werden dann entweder selbst gefressen oder an eine potenzielle Partnerin übergeben. Wird das Geschenk angenommen, steht der Brut nichts mehr im Weg und auch der Nachwuchs muss bald ernährt werden.

Im bunten Treiben der Kolonie ist es leicht, den Überblick zu verlieren und Fluss- von Küstenseeschwalben zu unterscheiden. Auch bei den Lachmöwen lohnt sich ein zweiter Blick, denn seit 2010 gesellen sich auch vermehrt Schwarzkopfmöwen zu den alteingesessenen Koloniebewohner*innen. Die ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammenden Möwen zieht es, vermutlich durch den Klimawandel bedingt, immer weiter gen Norden, sodass sie nun auch den Weg zum Eidersperrwerk gefunden haben und hier erste Brutversuche anstellen.

Die neuen Mitbewohner*innen sind den Seeschwalben aber nicht nur wohlgesonnen. Die besten Brutplätze sind heiß begehrt und die Lachmöwen beanspruchen Jahr für Jahr mehr Raum für sich. Die Seeschwalben werden so gezwungen, sich andere Brutplätze zu erschließen. Deshalb brüten immer mehr von ihnen auch auf der nördlichen Seite des Eidersperrwerks.

Der Kampf um den Brutplatz ist aber nicht die einzige Schwierigkeit, mit der die Seeschwalben zu kämpfen haben. Igel und Ratten machen sich in unbeobachteten Momenten nur zu gern über die Eier der brütenden Vögel her. Auch die neugierigen Gäste, die teilweise extra für die Seeschwalben anreisen, können eine Störung darstellen, schließlich ist es nur zu einfach bei diesen bewundernswerten Wildtieren den Sinn für Distanz zu verlieren. So sinkt die Anzahl der Seeschwalben am Eidersperrwerk mittlerweile wieder.

Ob die Kolonie auf lange Sicht bei solch massiven Schwierigkeiten Überlebenschancen hat, ist fraglich. Umso wichtiger ist es, die Tiere wertzuschätzen und die Schutzbemühungen im Optimalfall sogar zu erhöhen. Aber wer weiß: Vielleicht überraschen uns die Seeschwalben ein weiteres Mal und schaffen es doch, sich am Eidersperrwerk zu halten.

Wibke Oeding
Emil Tewald

Wibke Oeding & Emil Tewald sind aus dem Team der Freiwilligendienstleistenden im NABU Naturzentrum Katinger Watt in den Jahren 2021/2022.