Vom Sterne gucken – auch am Tag
und einem untererfassten Zuggeschehen.
Planzugbeobachtungen sind ein faszinierendes Hobby und können auch im Sinne von „Citizen Science“ wertvolle Erkenntnisse über Routenverläufe, Zugbedingungen und das zeitliche Geschehen des Vogelzugs erbringen. Hier ein Beispiel von meiner Husumer Dachterrasse: Waren es vor ein paar Jahren noch reine Zufallsbeobachtungen, so überlasse ich heute nichts mehr dem Zufall sondern allenfalls noch dem Wetter.
Die Dimension des Heimzugs der Sterntaucher an der Westküste offenbarte sich mir erstmals im Corona-Jahr 2020. In vorübergehender Freistellung vom Dienst verbrachte ich viele Stunden auf unserer Husumer Dachterrasse. Gleich am ersten Beobachtungstag nach der noch jüngst heilen Welt in einem Portugal-Urlaub, wurde ich Zeuge von einem offenbar regelmäßigen Zuggeschehen, was in diesem Umfang zuvor offenbar untererfasst wurde.
Sterntaucher nutzen im Frühjahr die „Landenge“ zwischen Husum im Westen und der Schleimündung im Osten (gerade mal 50 km trennen hier Nord- und Ostsee) für den Abzug in ihre arktischen Brutgebiete. Die Sterntaucher erreichen hier die Festlandsküste in noch mittlerer Höhe und beginnen dann genau über der Husumer Bucht sich meist truppweise im Ruderflug „hochzukreisen“. Diese Kreise haben wohl geschätzte 2 bis 3 km Durchmesser und manchmal denkt man, die Vögel hätten nicht genug Mut, die Reise über das Festland anzutreten und würden wieder umkehren. Doch sie gewinnen dabei nur an Höhe. Manchmal schließen sich dabei Trupps unter spektakulärem „Fallenlassen“ mit tiefer fliegenden Teilverbänden zusammen. Ist die gewünschte Flughöhe erreicht, gehen Sie dann auf geraden Kurs gen Ost. Ein atemberaubendes Naturschauspiel! Dabei erreichen die Taucher teilweise derart beachtlichen Abstand zum Boden, dass sie oft gesehenen Auges in den Wolken verschwinden. So mag die Grauzone des tatsächlichen Zuggeschehens tatsächlich „im Dunkeln“ zu liegen. Westwind, also Rückenwind, scheint sich besonders fördernd auf den Heimzug der Sterntaucher auszuwirken.
Wonach soll man Ausschau halten? Verbände von Sterntauchern bzw. Seetaucher allgemein fliegen in unstrukturiert wirkenden „Wolken“, d.h. sie geben sich keinen Windschatten, fliegen also nicht in Linien wie z.B. Gänse, und halten in der Regel recht große Abstände zueinander. Ein loser „Haufen“ sozusagen, wie man ihn ganz ähnlich auch bei ziehenden Raubmöwen beobachten kann.
Bei der Erfassung der Seetaucher empfiehlt sich eine gewisse Entspannung… Die Vögel ziehen oft derart hoch, dass sie i. d. R. ohnehin nur durch das gezielte Absuchen des höheren Horizontes gefunden werden. Eine Haltung, die mir sehr entgegenkommt, ist dabei durchaus zu empfehlen: Füße hoch lagern, also mehr liegen als sitzen – man assoziiere das Bild eines römischen Legionärs nach einer geschlagenen Schlacht… die Weintrauben werden gereicht – und ein bequemes Sitzmobiliar mit Armlehnen. Der richtige Winkel und ein ruhiger Blick sind entscheidend!
Im April und Mai des Jahres 2020 ließen sich auf diese Weise insgesamt 720 Sterntaucher über Husum beobachten, darunter geschlossene Verbände von bis zu 118 Individuen.
Meine erste Annahme, dass die Vögel lediglich die Landmasse „zwischen den Meeren“ überfliegen, stellte ich rasch in Frage, da trotz direkter Information in Richtung Ostsee, kein „Husumer Sterntaucher-Trupp“ durch dortige Planzugbeobachter in Empfang genommen werden konnte. Sie ziehen offenbar, und dass ist bei der erreichten Zughöhe auch plausibel, durchaus weiter.
Ein Zugphänomen das mich auch weiterhin in die fast horizontale Beobachtungshaltung bringen wird, ob mit Weintrauben oder einem wärmenden Kaffee…
Martin Kühn
ornitho-Regionalkoordinator für Dithmarschen und Nordfriesland, Mitglied der Avifaunistischen Kommission in Schleswig-Holstein und Hamburg.
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